Nach verpasster Davis-Cup-Überraschung: ÖTV-Herren richten Blick nach vorne
Die erhoffte Überraschung ist also ausgeblieben: So wie im Vorjahr (damals in Südkorea) hat Österreichs Herren-Nationalmannschaft auch 2023 durch eine 1:3-Niederlage in der Qualifikationsrunde den Sprung zu den Davis Cup by Rakuten Finals verpasst, diesmal in Kroatien, der derzeitigen Nummer eins im Nationenranking. Während Alexander Erler und Lucas Miedler mit einem fulminanten Sieg über die beiden Weltklasse-Doppelspieler Ivan Dodig und Nikola Mektic am Sonntag der Ehrenpunkt zum 1:2 glückte, war Dennis Novak und Dominic Thiem gegen starke Kontrahenten im Einzel kein Satzgewinn vergönnt.
Speziell bei Letzterem saß der Stachel tief – trotz klar erkennbarer Leistungssteigerung im ersten Satz beim 6:7 (3), 2:6 im letztlich entscheidenden Spiel gegen den regierenden Cincinnati-Champion Borna Coric (ATP 23): „Im Endeffekt steht trotzdem ein 1:3 da, und zwei Punkte davon habe ich verloren. Da bin ich darum jetzt nicht wirklich glücklich oder zufrieden mit einer Leistungssteigerung, sondern richtig enttäuscht, dass ich dem Team gar nicht helfen konnte“, bekannte Thiem nach seinem (auch verletzungsbedingt) ersten Auftritt in der ÖTV-Auswahl seit dem 3:2-Erfolg in Finnland im September 2019.
Training und Match „zwei verschiedene Paar Schuhe“
Auf seinem erhofften Weg zurück an die Weltspitze ortet der US-Open-Titelgewinner von 2020 derzeit doch einige Baustellen in seinem Spiel, speziell Vorhand („Sie ist schon da, ich setze sie jedoch nicht oft genug so ein wie früher“) und Service („So wie ich serviere, kommen sehr viele Bälle zurück; ich habe wenige Asse, wenige Aufschläge, bei denen ich nichts mehr machen muss“), bei dem besonders der zu seinen besten Zeiten nicht selten erfolgreich eingesetzte Kick zurzeit durch weitgehende Abwesenheit glänzt. Das größte Problem bei den Schlägen, wenn es ans Eingemachte geht, sei aber der Kopf: „Es ist viel weniger Überzeugung dabei. Das wird sich nur mit guten Matches und Siegen ändern. Im Training läuft das ‚Werkl’ ganz gut, aber das sind eben zwei verschiedene Paar Schuhe.“
Dennoch sieht Thiem, nicht zuletzt aufgrund der guten Trainingsleistungen, Fortschritte, die ihn in seinem Weg bestärken: „Den werde ich weitergehen. Und wenn ich aus diesem Wochenende was Positives rausnehme, dann wie ich bei den zwei Matches da war, über die gesamte Zeit hinweg. So muss ich das weitermachen, auch wenn ich wieder Turniere spiele, also ab Buenos Aires. Mit diesem Vorhaben fahre ich von hier weg.“ Die Vorfreude auf die für ihn bevorstehende Südamerika-Sandplatz-Turnierserie hielt sich am Tag der Niederlage im Sportzentrum Zamet zunächst noch in Grenzen: „Wenn wir den Davis Cup gewonnen hätten, wäre eine Riesenvorfreude da, jetzt ist definitiv Enttäuschung da. Die muss ich so schnell wie möglich abhaken, damit die Vorfreude auf Südamerika kommt.“
Thiem geht Weg zu alten Erfolgsstätten – ohne Kosmos
Lange Zeit bleibt Thiem hierfür nicht: Am Mittwoch erfolgt der Abflug nach Buenos Aires, wo der 29-Jährige Wildcards für den Einzel-Hauptbewerb und für das Doppel mit seinem argentinischen Buddy Diego Sebastian Schwartzman erhielt. „Ich schaue, dass ich mich so gut wie möglich akklimatisiere, auf den Sand einstelle und dort hoffentlich mal einen Sieg einfahren kann.“ Nach dem ATP-250-Event in Argentiniens Metropole folgen Starts in Rio de Janeiro (ATP 500) und Santiago de Chile (ATP 250). Bei zwei dieser drei Events hatte er sich einst in die Siegerliste eingetragen: in Buenos Aires 2016 und 2018, in Rio de Janeiro 2017.
Für das anschließende ATP-Masters-1000-Hartplatzturnier in Indian Wells hat Thiem um eine Hauptfeld-Wildcard angefragt, würde jedoch auch die Qualifikation spielen. Danach gäbe es mehrere Optionen. So etwa den ATP-175-Challenger in Phoenix zwischen Indian Wells und Miami, danach eben Miami oder einen frühen Übergang in die Sandplatzsaison. Fest steht aber, dass Thiem seinen Weg zukünftig ohne die Agentur Kosmos, die kürzlich ja auch ihren Davis-Cup-Vertrag mit der ITF verloren hatte, bestreitet. Das Management des Niederösterreichers wird in Hinkunft dessen jüngerer Bruder Moritz übernehmen.
Melzer: „Kann Thiem gar nichts vorwerfen“
Seine Enttäuschung über den Verlauf des Länderkampfes in Kroatien konnte auch ÖTV-Davis-Cup-Kapitän und -Sportdirektor Jürgen Melzer nicht verbergen: „Natürlich bin ich enttäuscht. Wir hatten einen kleinen Funken Hoffnung nach dem Doppel. Und vor allem wie der erste Satz bei Dominic verlaufen ist, da hatte ich das Gefühl, das hätte in beide Richtungen gehen können. Glückwunsch an Coric, er hat seinen Level über die gesamte Zeit aufrechterhalten. Es war ein hochverdienter Sieg für Kroatien“, bekannte auch der 41-Jährige. „Wir haben im Einzel unterm Strich keinen Satz gewonnen, das ist natürlich schade und dann ist man auch verdient draußen.“
Melzer wollte in Thiem indes keinen Schuldigen suchen: „Ich kann ihm da jetzt gar nichts vorwerfen. Er hat alles probiert und immer bis zum Schluss alles gegeben. Man hat auch gesehen, dass Dominic da war und versucht hat, alles reinzuwerfen, was er hat, aber es sind dann einfach zwei, drei Punkte, die der andere besser spielt. Man kann sowas nicht erzwingen. Das muss mal passieren, da braucht man vielleicht auch mal das Quäntchen Glück, dass dem anderen vielleicht auch mal ein Fehler passiert, man das Tiebreak eben gewinnt – und dann schaut man es sich an. Aber das ist hätte, hätte, Fahrradkette. Man will daran glauben oder sich in Position bringen, vielleicht das Wunder noch schaffen zu können, aber es ist nicht passiert. Das sind die Fakten, das müssen wir akzeptieren.“
Gespanntes Warten auf die Auslosung am Donnerstag
Freilich konnte Melzer dem Wochenende auch Positives abgewinnen, vor allem natürlich den Auftritt von Erler/Miedler: „Die Doppeljungs haben eine starke Leistung geboten und ein Team geschlagen, das definitiv höher einzuschätzen ist. Sie haben einfach gezeigt, wie sehr sie diesen Punkt holen wollten. Man hat gesehen, was der Wille ausmacht und dass das für uns schon ein Doppel für die Zukunft ist, dass uns im Davis Cup, glaube ich, noch viel Freude bereiten wird.“ Und das vorzugsweise in der höchsten Spielklasse: „Wir werden es nochmals von vorne versuchen, zurück in die Qualifikationsrunde zu kommen und es dort im nächsten Jahr besser zu machen.“ Der Blick, der geht bei den ÖTV-Herren also naturgemäß schon wieder nach vorne.
Auch angesichts der Tatsache, dass man – abgesehen vom Erfolg über Russland 2012 – seit 1995 keinen Sieg mehr in der höchsten Spielklasse erringen konnte und das Dasein als Pendlernation schwer zu leugnen sei, blicke man positiv vorwärts: „Es muss einfach alles passen, dass wir uns für so ein Finalturnier qualifizieren – und auswärts gegen so einen starken Gegner wie Kroatien werden wir wahrscheinlich nicht die einzige Nation sein, die verliert. Zurzeit ist das so, dass wir eine Pendlernation sind – wir müssen alles daran setzen, dass wir im September ebenso eine Pendlernation bleiben“, spielte Melzer lächelnd auf ein erhofftes neuerliches Erfolgserlebnis im Herbst an. Am Donnerstag um 12:00 Uhr MEZ gehen die Blicke deshalb sehr gespannt nach London, wo im ITF-Büro die Auslosung für das Play-off um den Sprung in die Qualifikationsrunde für das Finalturnier 2024 bevorsteht. Diese lässt im Vorfeld ziemlich alles offen: die Schwere des Gegners, eine weite oder kurze Anreise – oder doch ein Heimspiel. Etwas wahrscheinlicher ist ein Auswärtsmatch: Daheim ginge es nur gegen Israel, die Ukraine und Bulgarien, auswärts gegen Griechenland, Brasilien, Dänemark und Rumänien. Gegen Japan, Peru, Taiwan, die Türkei und Litauen würde hingegen das Los übers Heimreicht entscheiden.
Weitere Stimmen aus dem ÖTV
Martin Ohneberg (Präsident): „Wir sind als Außenseiter nach Kroatien angereist, leider konnten wir für keine Überraschung sorgen. Im Doppel konnten wir mit dem Erfolg über einen Top-Ten- bzw. einen fast Top-Ten-Spieler ein wirkliches Ausrufezeichen setzen – eine sensationelle Leistung. Alles in allem war aber ein starker Teamgeist und eine tolle Stimmung in unserem Team zu erkennen – wichtige Voraussetzungen, auf denen unser Teamchef Jürgen Melzer zukünftig aufbauen kann. Wir schauen positiv in die Zukunft.“
Jürgen Roth (Vizepräsident): „Man muss die Kirche im Dorf lassen: Wir waren auch nach den verletzungsbedingten Absagen bei Kroatien immer noch Außenseiter. Dennoch gibt es viel Positives hervorzuheben: den Teamgeist, die gesamte Organisation innerhalb der Mannschaft und die – wie ich den Eindruck hatte – sehr gut funktionierende Betreuung rund um die Spieler. Und nicht zuletzt die hervorragende Leistung unserer Youngsters im Doppel, die Freude auf mehr in den nächsten Jahren macht. Sowohl kämpferisch als auch vom Spirit her eine echte Gänsehaut-Vorstellung, die beiden können wirklich stolz auf das sein, was sie vollbracht haben. Als Österreich müssen wir hoffen, dass Dominic Thiem wieder annähernd zu alter Stärke zurückfindet und in seinem Sog den einen oder anderen Einzelspieler mitnimmt. Ich bin optimistisch für den Herbst. Wir haben es jetzt schon ein paar Mal geschafft und wir werden es wieder schaffen, dass wir zumindest in dieser erlesenen Runde bleiben, um im nächsten Jahr dann wieder anzugreifen.“
Thomas Schweda (Geschäftsführer Wirtschaft): „Es ist natürlich sehr schade, dass wir die Überraschung nicht geschafft haben. Das tut mir extrem leid für Jürgen und unsere Spieler. Unserem Doppel kann man zur tollen Leistung nur gratulieren. Ich möchte mich herzlich bedanken, dass uns alle Spieler bereitwillig zur Verfügung gestanden sind, das ist nicht selbstverständlich. Wir werden alles daran setzen, dass wir’s im Herbst wieder schaffen, uns die nächste Chance auf eine Teilnahme am Finalturnier zu erspielen.“