French Open: Ofner dreht kurioses Auftaktspiel nach 0:2-Satzrückstand
Sebastian Ofner ist mit einem kuriosen Auftakterfolg an die Stätte seines letztjährigen, sensationellen ersten Grand-Slam-Achtelfinaleinzugs zurückgekehrt. Der 28-Jährige hat bei den French Open in Paris am späten Sonntagabend bei Flutlicht sein Erstrundenspiel im Hauptbewerb nach 0:2-Satzrückstand noch für sich entschieden. Der Steirer (ATP 45) zwang den französischen Wildcard-Inhaber Terence Atmane (ATP 120) nach einem 3:35-stündigen Kampf mit 3:6, 4:6, 7:6 (2), 6:2, 7:5 in die Knie. Somit vermochte er das zweite Mal in seiner Karriere nach dem Wimbledon-Qualifikationsfinale 2017 (damals gegen den britischen Lokalmatador Jay Alexander Clarke) nach einem 0:2 in Sätzen noch als Sieger vom Platz zu gehen. Sein Gegner schrammte indes nicht bloß am zweiten Sieg im dritten Duell der beiden, sondern im vierten Satz auch an einer Disqualifikation vorbei, als er bei einer Frustaktion eine Zuschauerin mit dem Ball traf.
Ofner hat hiermit 50 seiner 205 im Vorjahr eroberten ATP-Punkte verteidigt. Um weitere 50 Zähler geht’s für den Schützling aus der ATC-Akademie von Wolfgang Thiem wohl am Mittwoch gegen den auf Position 20 gesetzten Argentinier Sebastián Báez (ATP 20) oder den brasilianischen Qualifikanten Gustavo Heide (ATP 174). Am Montag ist aus rot-weiß-roter Sicht, im dritten Match nach 11:00 Uhr auf Court 4, zuerst noch Filip Misolic an der Reihe. Der 22-Jährige hat nach erstmalig gemeisterter Grand-Slam-Qualifikation jedoch einen neuen Gegner zugeteilt bekommen. Denn der Australier Christopher O’Connell (ATP 68) sagte mit Schulterproblemen kurzfristig ab, der Steirer (ATP 243) trifft stattdessen auf den Lucky Loser Otto Virtanen (ATP 156). Der Finne hatte in der zweiten Runde der Qualifikation ÖTV-Aushängeschild Dominic Thiem bei dessen letzten Auftritt bei Roland Garros eliminiert.
Mit dem Rücken zur Wand gestanden
Ofner befand sich lange Zeit keinesfalls auf Kurs, um zum vierten Mal in seiner Laufbahn Runde zwei eines Grand Slams zu erreichen, zum zweiten Mal in Frankreichs Hauptstadt Paris. Der St. Mareiner musste bei der einzigen Breakchance im ersten Satz das letztlich vorentscheidende Break zum 1:3 hinnehmen, im zweiten Abschnitt sah er sich gar rasch bei 1:4 mit Doppelbreak. Er schlug mit einem Zwischenspurt zum 4:4 zurück, bloß um bei diesem Stand neuerlich sein Service abzugeben und das 0:2 in Sätzen zu kassieren. Und auch im dritten Durchgang lief Ofner gleich zu Beginn einem Break hinterher. Bereits mit dem Rücken zur Wand stehend, verzeichnete er ab 2:4 und 30:40 bei eigenem Aufschlag drei Spiele in Serie nach teils mehreren Gewinnchancen für Atmane. Ein stark gespieltes Tiebreak brachte ihm schließlich den ersten Satzgewinn – und die Wende in der beinhart umkämpften Begegnung. Im vierten Durchgang zog er schnell auf 4:0 davon.
Bei Ofner lief es jetzt wie am Schnürchen, während sich die Fehler bei Atmane häuften – und die Frustaktionen. Bei einer solchen drosch er bei 4:1 und 30:30 bei Aufschlag Ofner nach bereits beendetem Ballwechsel einen Ball wütend und mit voller Kraft weg, mitten in die Publikumsränge von Court 12, und traf dabei gar eine Zuschauerin am Knie. Doch trotz minutenlanger Diskussionen mit der Getroffenen, Ofner und Atmane sprachen der Stuhlschiedsrichter und der herbeigerufene Supervisor überraschenderweise nicht eine Disqualifikation des französischen Hausherrn aus und beließen es bei einer Verwarnung. Atmane blieb außerdem eine Entschuldigung bei der Dame schuldig. Ofner gab die beste Antwort auf dem Platz, holte sich den vierten Satz und breakte im Fünften früh zum 2:1. Die Führung konnte er nicht halten, nach jeweils einem vergebenen Breakball auf beiden Seiten und nachdem ihn bei 4:5 und 30:30 lediglich zwei Punkte von einem Aus getrennt hatten, nahm er Atmane aber letztlich nochmal das Service zum 6:5 ab. Im Hexenkessel des kleinen Stadions, in dem Atmane vom Heimpublikum unermüdlich unterstützt wurde, wahrte Ofner auch beim Ausservieren die Nerven. Um drei Minuten vor Mitternacht – die Partie hatte aufgrund einer Regenpause erst verspätet und auf einem anderen Platz als vorgesehen begonnen – nützte er seinen ersten Matchball und durfte befreit aufjubeln.
Ofner: „Der größte Sieg in meiner Karriere“
„Das war der größte Sieg in meiner Karriere“, befand Ofner nach dem Match im Interview mit ServusTV sogar. „Wenn man 0:2-Sätze und 2:4 mit Break hinten ist – sowas noch zu drehen, das ist schon noch einmal was anderes.“ Erst recht mit dem gesamten Publikum gegen sich und nach der höchst umstrittenen Entscheidung der Offiziellen, Atmane trotz dessen Frustaktion nicht zu disqualifizieren. Ofner hatte dazu eine klare Meinung – dass für ihn gewiss ein Disqualifikationsgrund vorgelegen sei. „Wir sind beim größten Turnier, es ist ein kleiner Platz. Wenn du so etwas machst, dann musst du ab einem gewissen Punkt bestraft werden. Auf der Challenger-Tour bekommst du verrückte Strafen für fast gar nichts, und dann bist du bei einem Grand Slam auf der größten Bühne und du kannst tun, was du willst.“ Viele Beobachter:innen sahen in der Entscheidung einen Heimbonus. Doch „wenn der Oberschiedsrichter das nicht sieht, muss er auf das vertrauen, was der Stuhlschiedsrichter sagt“, meinte Ofner und zeigte sich überzeugt, dass dieser anders entschieden hätte, hätte er den Zwischenfall selbst gesehen. „Mit ein bisschen weniger Glück geht der Ball direkt ins Gesicht, da kann eine Nase brechen – das war gefährlich.“ Laut seiner Beobachtung habe auch Atmanes Coach mit der Disqualifikation gerechnet.
„Selbst überrascht gewesen“ sei Ofner, dass er zweieinhalb Sätze lang nicht ins Match gefunden habe. Freilich spiele hierbei aber auch die üppige Anzahl an zu verteidigenden ATP-Punkten im Hinterkopf stark mit: „Die ganze Situation hat mich mehr belastet, als ich logischerweise sagen würde“, sagte er lachend. Er habe nicht mal mit seinem Coach darüber gesprochen. „Ich habe heuer das erste Mal die Top 40 geknackt, da macht man sich selbst schon Druck. Es war die ganze Saison schon ein bisserl der Grund, warum es nicht so gut gelaufen ist, weil man sagt, jetzt kann man befreiter aufspielen. Aber das ist ein Blödsinn. Jetzt bist du da, du willst da bleiben, willst noch besser sein, vielleicht geht es in die Top 30.“ In diese Richtung hat Ofner jedenfalls wieder einen ganz kleinen Schritt gesetzt. Und auch gegen Báez sehe er sich keineswegs chancenlos: „Ich glaube schon, dass es ein bisschen hilft, wenn man Außenseiter ist. Wenn ich mich mit meinem Spiel gut fühle, ist sicher einiges drinnen.“