Schwere Aufgaben für ÖTV-Quartett im Hauptbewerb von Wimbledon
Nach der am Donnerstag in Roehampton abgeschlossenen Qualifikation ist freitags am Vormittag im altehrwürdigen All England Lawn Tennis and Croquet Club die Auslosung der Hauptbewerbe von Wimbledon 2023 vorgenommen worden. Dem ÖTV-Quartett war hierbei wenig Losglück beschieden: Sebastian Ofner, Dominic Thiem, Dennis Novak bzw. Julia Grabher erhielten beim Rasen-Grand-Slam-Turnier in London, durch die Bank, sehr schwere Aufgaben. Ofner (ATP 69) startet in der ersten Runde gegen den Tschechen Jiri Lehecka (ATP 36), Novak (ATP 159) gegen den seit kurzem wieder ums Comeback in der Weltspitze kämpfenden Kanadier Milos Raonic (ATP 840) und Thiem (ATP 90) gegen den fünftgesetzten Griechen Stefanos Tsitsipas (ATP 5). Die drei rot-weiß-roten Herren sind allesamt dienstags erstmalig im Einsatz. Grabher (WTA 54) bekommt es bei den Damen indes bereits am Montag mit der US-Amerikanerin Danielle Rose Collins (WTA 48) zu tun.
Wiedersehen mit Bekannten für Thiem, Novak …
Besonders hart hat es Österreichs jahrelanges Aushängeschild Thiem erwischt. Der 29-Jährige trifft so wie sein gleichaltriger Freund und Weggefährte Novak auf eine frühere Nummer drei der Welt, mit dem Unterschied, dass Tsitsipas als Weltranglistenfünfter im Gegensatz zu Comebacker Raonic auch derzeit der Kategorie absolute Weltklassespieler zuzuordnen ist. Erst Ende April waren sich Thiem und Tsitsipas beim ATP-Masters-1000-Turnier in Madrid zuletzt gegenübergestanden. Der Niederösterreicher verlor zwar in der zweiten Runde hauchdünn 6:3, 1:6, 6:7 (5), meldete sich mit einer starken Leistung aber vermeintlich in der Weltspitze zurück. Ein Eindruck, der sich in den Wochen danach noch nicht so recht bestätigen sollte. Aktuell hat allerdings auch der Grieche mit einer kleinen Formkrise zu kämpfen: Bei den Rasenevents in Stuttgart, Halle/Westfalen und Mallorca scheiterte Tsitsipas jeweils schon in Runde zwei, beim erst- und letztgenannten Turnier jeweils nach einem Freilos gleich an der ersten Hürde. In Wimbledon kam der 24-jährige Mallorca-Vorjahressieger so wie Thiem bis jetzt noch nie übers Achtelfinale hinaus. Auch der Ex-Weltranglistendritte aus Österreich hat mit Stuttgart 2016 exakt einen ATP-Titel auf Rasen vorzuweisen.
„Tsitsipas ist natürlich kein leichtes Los“, befand Thiem in einer Stellungnahme, die von seinem Bruder und Manager Moritz Thiem verbreitet wurde. „Ich muss schauen, dass ich gut in das Match reinkomme, früh auf voller Intensität bin – und diese dann auch halte. Unser letztes Match ist auch noch nicht so lange her, aber das war natürlich auf Sand, wo komplett andere Bedingungen herrschen. Rasen ist schneller und nimmt keinen Spin an.“ Am Freitag und Samstag wollte Thiem eigentlich bei einer Exhibition in Hurlingham Matchpraxis auf Rasen gegen die ATP-Top-vier-Stars Carlos Alcaraz und Casper Ruud holen, doch nachdem zuerst der erstgenannte spanische Weltranglistenerste absagte – es wäre das erste Duell mit Alcaraz geworden –, musste auch Thiem abwinken: „Leider habe ich heute Nacht eine Verkühlung aufgeschnappt und konnte heute in Hurlingham nicht antreten.“ Das Samstags-Match gegen Ruud sagte er zwar noch nicht ab und war noch nicht ganz vom Tisch, doch Thiem stellte indes die Prioritäten klar: „Ich muss jetzt schauen, dass ich mich davon völlig regeneriere und am Dienstag fit bin. Das wird eine Herausforderung, aber ich gebe mein Bestes.“
Freilich: Auch die Aufgabe für Novak ist keine viel angenehmere, findet sich Raonic doch auf dem „Heiligen Rasen“ bestens zurecht. 2016 erzielte die Aufschlagkanone mit einem Wimbledon-Finaleinzug das beste Abschneiden der Karriere bei einem Grand Slam, stand zudem 2014 im Semifinale sowie 2017 und 2018 im Viertelfinale. Novak kann dem, nach erneut bravourös gemeisterter Qualifikation, die fünfte Hauptbewerbsteilnahme in Serie beim Rasenklassiker an der Londoner Church Road entgegensetzen. Das bislang einzige Duell mit Raonic stammt – richtig, aus Wimbledon: Der Pottendorfer hatte sich 2018 bei seinem Drittrundenauftritt gut verkauft, doch unterlag dem achtmaligen ATP-Titelträger am Ende mit 6:7 (5), 6:4, 5:7, 2:6. Raonic gab erst diese Woche sein Comeback nach fast zweijähriger Verletzungspause. Nach einem Auftakterfolg über die Nummer 39 der Welt, den Serben Miomir Kecmanovic, schied der 32-Jährige beim ATP-250-Rasenturnier in ’s-Hertogenbosch jedoch im Achtelfinale aus.
… und Ofner
Ofner und Lehecka haben mindestens eine Sache gemeinsam: Beide befinden sich, nach den Zahlen und Fakten, auf dem aktuellen Höhepunkt ihrer Karrieren, auch mit ihren bis dato besten Rankings. Österreichs Nummer eins spielte sich mit ihrem so sensationellen Achtelfinaleinzug bei den French Open in Paris und ihrem fünften ATP-Challenger-Finale in dieser Saison in Ilkley zu neuen Höhen und einer Wimbledon-Wildcard, da Finalgegner Jason Kubler die für den Turniersieger vergebene Freikarte nicht benötigte und sie Ofner weitergegeben wurde. In Anbetracht der letzten Leistungen auch zweifelsohne verdient, zumal sich der Steirer auf dem Grün nicht erst seit heuer von seiner besten Seite zeigt – 2017 hatte er in Wimbledon einst schon die dritte Hauptrunde erreicht. Dies ist Lehecka bisher noch nicht gelungen, der 21-jährige Newcomer schlägt heuer jedoch, nach seiner letztjährigen Auftaktniederlage, auch erst zum zweiten Mal im Rasenmekka auf. Bei den Australian Open 2023 hatte der Youngster bereits sein so großes Potential demonstriert und war erst im Viertelfinale gestoppt worden. Ein Kräftemessen der beiden gab’s in der jüngeren Vergangenheit auch schon: Ofner unterlag Lehecka dabei im Vorjahr beim ATP-Challenger in Salzburg knapp mit 3:6, 6:4, 4:6.
„Soweit läuft alles bestens, ich bin top am Trainieren, fühle mich topfit und das Training läuft soweit hervorragend, ich komme genug zum Trainieren“, berichtete Ofner bei einer Stellungnahme über seinen Manager Moritz Thiem. Vor seinem Erstrundengegner zeigte er sich gewarnt: „Lehecka ist ein guter Spieler, der jetzt auch schon länger vorne mit dabei ist. Es wird sicher ein taffes Match, aber auf Rasen kann viel passieren. Ich fühle mich gut, also ich bin definitiv davon überzeugt, dass ich meine Chancen haben werde – und das werde ich auch versuchen.“
Auch Grabher gegen Ex-Grand-Slam-Finalistin
Als einziges ÖTV-Ass hat Grabher mit der Gegnerschaft in Runde eins bislang noch keine Bekanntschaft gemacht. Mit Collins steht ihr jedoch eine harte Kontrahentin gegenüber, die in den letzten Jahren je ein Finale (Australian Open 2022), ein Semifinale (Australian Open 2019) sowie ein Viertelfinale (French Open 2020) auf Grand-Slam-Niveau erreichen konnte und, bis zu einem heuer leichten Formtief, der absoluten Weltspitze zuzurechnen war. Ihre Leistungen brachten die 29-Jährige im Juli 2022 bis auf Position sieben in der Weltrangliste. Mittlerweile trennen die beiden im WTA-Ranking allerdings nur noch sechs Positionen, weil Grabher im Vorjahr der erhoffte Durchbruch unter die Top 100 der Welt gelungen war. Diesen setzte die Vorarlbergerin in der laufenden Saison weiter fort, auch mit ihrem ersten Grand-Slam-Hauptbewerbserfolg bei den French Open. Danach musste die 26-Jährige jedoch beim WTA-125-Challenger in Valencia mit Oberschenkelproblemen aufgeben. Eine Wimbledon-Generalprobe ging sich für die heimische Nummer eins in der aktuellen Woche aber noch aus: Beim WTA-250-Event in Bad Homburg verlor sie freilich in Runde eins.
Gegen Collins dürfte Grabher nun wohl ihr bestes Rasentennis benötigen, um reüssieren zu können. Das sieht auch die Dornbirnerin gemäß Eintrag auf ihrer offiziellen facebook-Fanseite so: „Es hätte sicherlich angenehmere Aufgaben gegeben, aber darüber mache ich mir keinen Kopf, man muss die Dinge ohnehin nehmen, wie sie kommen“, erklärte sie hierzu. „Die Rollen sind aufgrund ihrer Erfahrung und Weltklasse klar verteilt, ich muss sicherlich mein bestes Rasentennis abrufen, um sie fordern zu können.“ Ihre Devise für die Zeit bis dahin war klar: „An den kommenden beiden Tagen gilt der Fokus dem letzten Feinschliff, um optimal vorbereitet und so fit wie möglich ins Turnier zu starten. Wenn’s gelingt, mein Spiel durchzuziehen, habe ich sicherlich meine Möglichkeiten, davon bin ich absolut überzeugt.“ Auch eine zweite Chance gibt’s diesmal für Grabher: Ihr nunmehr so starkes Einzelranking erlaubt ihr ebenso die Teilnahme am Doppelbewerb, eine Premiere für sie bei einem Grand-Slam-Turnier. Die am Sonntag 27 Jahre alt werdende heimische Nummer eins tritt mit der früheren Nummer fünf im Einzelranking, Sara Errani (Italien), an. Zu Beginn warten die Tschechinnen Miriam Kolodziejova und Marketa Vondrousova.
Harte Aufgaben auch für Oswald und Erler/Miedler
Die rot-weiß-roten Herren kennen inzwischen ebenfalls ihre ersten Gegner im Doppel. So eröffnen die derzeitigen Mallorca-Finalisten Philipp Oswald und der Niederländer Robin Haase gegen die an 16 positionierten, frischgebackenen Halle-Champions Marcelo Melo (Brasilien) und John Peers (Australien), ehemals Nummer eins und zwei der Welt. Ebenso ein hartes Los, wie für die ÖTV-Asse im Einzel. Und auch Österreichs Davis-Cup-Doppel Alexander Erler und Lucas Miedler hat keine leichte Aufgabe: Es geht gegen die beiden Franzosen Pierre-Hugues Herbert und Arthur Rinderknech. Erstgenannter ist fünffacher Grand-Slam-Doppelsieger, darunter Wimbledon 2016. Die Monte-Carlo-Finalisten, Sam Weissborn und Romain Arneodo (Monaco), dürften indes mit den Sandplatzspezialisten Hugo Dellien (Bolivien) und Juan Pablo Varillas Patino Samudio (Peru) eine angenehmere Auslosung besitzen.